Wie es begann


Es war so ...

Im April 1945 wurden ca.1200 Menschen, hauptsächlich ungarische Juden, aus einem Lager bei Graz Richtung Mauthausen und anderen Arbeitslagern getrieben. Der Gewaltmarsch, dessen Ziel die Tötung möglichst vieler Menschen war, kostete ca. 400 von ihnen das Leben. Wie viele Menschen im Bezirk Kirchdorf starben ist unbekannt. Schätzungen gehen von bis zu 100 Toten aus, von denen aber nur 14 bestätigt sind. Der Todesmarsch nahm seinen Weg auch durch die Innenstadt Kirchdorfs.

 

Versuche einer historischen Aufarbeitung dieses Todesmarsches fanden 1995 und 2007 statt, jedoch ohne nachhaltige Wirkung. Der Bevölkerung und vielen regionalen Verantwortlichen sind die Ereignisse überwiegend unbekannt. Bis heute gibt es im Bezirk Kirchdorf weder eine Gedenktafel noch ein Mahnmal. Ein besonders leerer Abschnitt ist der Bereich der Stadt Steyr, wo zwar fast alle Transporte durchgetrieben wurden, aber der bekannte Teppich des Schweigens besonders dicht ist. Für Oberösterreich gibt es noch keine zusammenfassende wissenschaftliche Aufarbeitung.

 

2015 jährt sich das Geschehen zum 70-sten Mal. Dies war der Anlass für Joachim Stöbis, den Initiator des Projektes "EINHALT", an das Geschehene zu erinnern. Denn nur noch wenige Zeitzeugen leben heute noch, die meisten sind schon tot. Mit ihnen geht das Wissen über die tragischen geschichtlichen Ereignisse verloren. „Ohne ein Gedenken an das, was geschehen ist, können wir uns nicht von der Vergangenheit lösen“, ist Joachim Stöbis überzeugt: „Es gibt noch immer eine Decke des Schweigens. Zivilcourage brauchte man während der Hitlerzeit. Besonders dann, wenn man sogenannten unerwünschten Existenzen helfen wollte, allen voran den Juden. Da brauchte man schon Mut, aber zum Glück gab es solche Menschen. Sie setzten ihr Leben aufs Spiel. Zivilcourage wurde nicht nur in der Vergangenheit gebraucht. Heute ist sie genauso gefragt. Dazu braucht es heute genausoviel Mut, denn wer Zivilcourage beweist, kommt manchmal schlecht dabei weg.“


Der Bezirk Kirchdorf an der Krems ist der einzige in Österreich, durch den der Todesmarsch gegangen ist, und wo noch kein Denkmal, nicht einmal eine Tafel erinnert. Das sollte sich ändern. So entstand vor gut zwei Jahren die Idee eines Denkmals. Das allein sei aber noch nicht genug, ein toter Stein allein bewirke noch gar nichts. Stöbis wollte sich daher auch um die Vermittlung des Wissens bemühen. Den Menschen sollten die Ereignisse bekannt werden. Dazu müssen auch moderne Medien eingesetzt werden. So entstand die Idee eines Films, einer Dokumentation. Der Film sollte in Schulen, aber auch bei einem älteren Publikum eingesetzt werden können. In Schulen, um eine Basisinformation zu vermitteln. Bei den Älteren, um Erinnerung zu wecken und zu verlebendigen. Vielleicht kommen doch noch die einen oder anderen Details ans Licht.

 

Genau diese Erwartungen bestätigten sich. Wo immer Stöbis einige Dokumente herzeigte, begannen Menschen sich zu erinnern. Oft ergab sich ein weiterer Gesprächstermin, ein weiteres Interview. Zeitzeugen bekamen Mut, über das Unaussprechbare zu sprechen. So auch die Familie Kofler vom Baderkogel in Klaus, die über ein selbstloses Eingreifen ihrer Mutter, Baronin Mary Holzhausen berichtete: Als viele andere wegschauten, habe Mary Holzhausen Zivilcourage bewiesen. Den Todesmarsch ungarischer Jüdinnen und Juden nach Mauthausen sah Holzhausen unter ihrem Haus entlang auf der Landstraße um den Baderkogel ziehen. Sie verteilte frisch gekochte Kartoffeln an die Todgeweihten und ließ sich auch von Drohungen der bewaffneten Begleitmannschaften nicht beirren. Stöbis stieß auf viele andere Geschichten – und Hilfsbereitschaft. Geholfen haben ihm etwa die regionalen Historiker Anton Aschauer, Franz Horcicka, Rudolf Stanzl und Pfarrer Heribert Binder, die sich schon im Rahmen des „Festivals der Regionen“ mit diesem Thema befasst haben.

 

Erst der Schritt über ein EU-Projekt ermöglicht jedoch nun den Weg zu einer professionellen Aufbereitung. Die Steyrer Historikerin Dr. Ines Bernt-Koppensteiner, der die Gruppe im Lauf ihrer Recherchen begegnete, arbeitet schon seit langem an einer wissenschaftlichen Aufarbeitung der Todesmärsche in Oberösterreich. „In der Steiermark und in Niederösterreich sind diese Ereignisse schon gesamthaft dargestellt, nur in Oberösterreich noch nicht. Hier gibt es nur Einzelpublikationen, und die Region Steyr-Kirchdorf ist ein weißer Fleck.“ Bernts Buch wird im Frühjahr 2015 erscheinen. Es erscheint in Zusammenarbeit mit der Stadt Steyr, die an einer Verbreitung interessiert ist, zum Beispiel im Rahmen von Veranstaltungen der Stadtbibliothek, des Museums Arbeitswelt und der Stadtführungen.

 

Zwei ungarische Einrichtungen, die Kontakt zu Opfern oder deren Nachfahren haben, haben sich ebenfalls dem Projekt angeschlossen. Das EU-Projekt ermöglicht eine Begegnung und einen Wissensaustausch zwischen dieser Gruppe und den Akteuren aus der Region Steyr-Kirchdorf. Am 24.11. findet in Schlierbach das erste Treffen statt.

 

Die Errichtung eines Denkmals rückt durch die EU-Förderung ebenfalls näher. Die Stadtgemeinde Kirchdorf hat diese Aktion unter ihre Fittiche genommen, mit Unterstützung durch die Öffentliche Bibliothek der Evangelischen Pfarrgemeinde. An der Grundgrenze Stadtgemeinde-Pfarrgemeinde soll das Denkmal errichtet werden. Der Ort eignet sich deshalb, weil dort der Todesmarsch vorbei gezogen ist. Ein Gedenkakt ist im November 2015 geplant, auch unter ungarischer Beteiligung.

 

Bereits vorher, am 17.4.2015, genau dem 70. Jahrtag des Todesmarsches, ist auch in Klaus am Baderkogel ein Gedenken geplant. Mit diesen Aktionen soll die Region sich an die Opfer erinnern sowie an die (wenigen) Menschen, die eingeschritten sind und Zivilcourage bewiesen.


Da war der Pächter der Pfarrhofgründe in Spital am Pyhrn, ein Herr Kinz, der den Juden im Schutze der Nacht einen Sack roher Kartoffeln brachte. Eine Bauersfrau, Theresia Gösweiner, ebenfalls aus Spital, brachte am nächsten Tag den Vorbeiwankenden eine große Portion gekochter Kartoffeln. In Klaus war es Baronin Mary Holzhausen, die ebenfalls eine große Portion gekochter Kartoffeln unter den geknechteten Menschen verteilte. In Kirchdorf gab Frau Schwinghammer Essen. Andere wollten zu essen geben, wurden aber brutal daran gehindert. In Nussbach war es ein unbekannter Volkssturmmann, der sich heimlich Brot besorgte und es den Menschen zusteckte. Sicher gab es noch mehr, aber ihre Namen blieben bis jetzt unbekannt.


Das Thema Zivilcourage steht im Zentrum weiterer Aktionen. Die Schulaktion „Wir denken mal“ und die damit zusammenhängende Akzeptanzbefragung unter Leitung von Mag. Manfred Martin, Bundesoberstufenrealgymnasium (BORG/BRG) Kirchdorf setzt sich kritisch mit dem Thema „Denkmal“ auseinander. „Was lohnt überhaupt ein Gedenken?“ fragt Martin seine 16 bis 18-jährigen Schüler und Schülerinnen. Erste Befragungsergebnisse zeigen, dass darauf selbst Erwachsene oft keine Antwort wissen. Die Jugend setzt sich mit diesem Thema auseinander, und ihre Ergebnisse fließen in das EU-Projekt ein. „Das gibt dem Projekt etwas sehr Lebendiges“, meint Wolfgang Baaske von STUDIA, Koordinator des Projekts.

 

Die Ökumenische Initiative ÖKI unter Leitung von Regionaldiakon Carlo Neuhuber bringt das Thema Zivilcourage in die Erwachsenenwelt. ÖKI ist verantwortlich für die Erstellung und Produktion eines Buches, das eine Sammlung von Lebensschicksalen und wie Menschen diese gemeistert haben enthält. In diesem Buch wird auch das Thema des Todesmarsches in der Region ausgeführt. ÖKI organisiert Gesprächsrunden auf nachbarschaftlicher Ebene (sog. „Z'sammsitzn").

 

In einem EU-Projekt darf auch die wissenschaftliche Begleitung nicht fehlen. Diese wird von STUDIA, dem Koordinator des Projekts bereit gestellt. „Projektwirkungen müssen evaluiert werden“, meint Mag. Bettina Lancaster, Bürgermeisterin aus Steinbach am Ziehberg und seit 15 Jahren Mitarbeiterin bei STUDIA. Eine Befragung im Herbst 2015 wird klären, ob die Botschaft angekommen ist: Zivilcourage ist wichtig, nicht nur in der Vergangenheit, sondern gerade auch heute.